Warum eine Fortbildung zu H5P im DaF/DaZ-Unterricht?

Wie gestern schon angekündigt werde ich am 19.03. eine kostenlose Online-Fortbildung anbieten:

Digitale Tools haben schon längst im Fremdsprachenlernen Einzug gehalten. Aber werden sie auch immer sinnvoll eingesetzt?

Das kostenlose Werkzeug H5P zum Beispiel ist für Lerner und Lehrer leicht und mobil zu nutzen. Es lassen sich unterschiedliche Aufgaben- und Übungstypen digital umsetzen und als Open Educational Resources (OER) teilen und erneut anpassen. H5P-Anwendungen eignen sich sowohl zur Präsentation und Produktion von bedeutungsvollen und motivierenden Inhalten als auch für eine induktive Grammatikvermittlung. Die Stärke des Tools liegt aber auch darin, Übungssequenzen im und außerhalb (informelles Lernen) des Unterrichts zu ergänzen und bei richtigem Einsatz, unterschiedliche Lerntypen zu berücksichtigen und Binnendifferenzierung (gezielter) zu ermöglichen. Die Vorteile scheinen also zu überwiegen. Ob die Umsetzung im eigenen Unterricht aber auch immer sinnvoll, bedarfsorientiert und schülerorientiert erfolgt, wird zu selten hinterfragt.

Die Adobe Connect Präsentation stellt einige Möglichkeiten des Tools H5P vor. Es möchte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch dazu animieren, selbst eigene digitale Übungen zu erstellen und im Unterricht einzusetzen, aber diesen Einsatz zu planen und zu reflektieren.

Ziele

  1. Die TN kennen wichtige Übungsformen mit H5P und deren Einsatzmöglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht.
  2. Sie kennen Kriterien für den sinnvollen Einsatz von H5P-Anwendungen.

Ziele für die weitere Qualifikation (Eigeninitiative) der Teilnehmenden:

  1. Die TN können digitale Übungsformen gezielt auswählen und adaptieren.
  2. Sie können eine H5P-Übung planen, erstellen und gemeinsam mit Kollegen reflektieren.

Ausgangspunkt bzw. didaktisch methodische Grundlage der Reflexion der H5P-Anwendungen ist das Lernfeldermodell / Four Strands  (Nation/Newton 2009). Das Lernfeldermodell beruht auf der Annahme, dass eine ausgewogene Verteilung von Sprachlernaktivitäten über einen längeren Zeitraum am besten geeignet ist, die Lernenden zu einer aktiven Verwendung der gelernten Sprache zu bringen. Dieses Modell ermöglicht es, die Gesamtheit der Fremdsprachenvermittlung im Blick zu behalten und gleichzeitig bei Betrachtung einer Übung, einer Aufgabe, eines Tools oder einer digitalen Anwendung in ein bestimmtes Lernfeld „hinein zu zoomen“ und so zu hinterfragen.

Das heißt, dass der Lehrende mithilfe des Modells erfassen kann, ob er bestimmte Bereiche in der Fremdsprachenvermittlung bevorzugt, vernachlässigt, eventuell vergessen hat oder übertrieben anwendet. Das könnte einseitige Anwendungen von Quiztools vorbeugen.

Das Modell geht von 4 Lernfeldern aus, die durch Lernaktivitäten im Laufe eines gesamten Kurses oder in einem Schuljahr im gleichen Umfang abgedeckt werden sollten. Das heißt für die folgenden 4 Lernfelder, dass sie zu je einem Viertel (25%) Anwendung finden sollten:

1. Lernen durch Arbeit mit bedeutungsvollen Inhalten

2. Sprachbezogenes Lernen = punktuelle Konzentration auf sprachliche Strukturen (Grammatik, Wortschatz, Aussprache)

3. Lernen durch Produktion von bedeutungsvollem Output

4. Lernen durch Flüssigwerden im Sprechen, Schreiben, Hören, Lesen, Hörsehen

DLL 4

Dabei geht man nicht davon aus, dass es eine festgelegte Abfolge von Lernfeldern und -aktivitäten gibt und dass in jeder Stunde alle Lernfelder gleich oft angesprochen werden müssen.

Für Lehrende ist es meist eine Herausforderung für ihre Lerngruppe herauszufinden, was für diese „bedeutungsvoll“ ist. Auch wird oft reflektiert, dass das sprachbezogene Lernen mehr Raum einnimmt als im Modell vorgesehen. Fast immer sind Lehrende überrascht, dass dem Flüssigkeitstraining so viel Bedeutung zukommt. Die dazu notwendigen Automatisierungsübungen sind gekennzeichnet durch Schnelligkeit und eine hohe Wiederholungsrate. Hier gibt es, nach meiner Beobachtung, bei vielen Lehrern Bedarf zum Nachsteuern.

Hier eine Zusammenfassung des Lernfeldermodells.

Lernfelder und H5P-Anwendungen?

Ziel des Fremdsprachenlernens ist es, den Lerner in die Lage zu versetzen, Aufgaben, die nach Möglichkeit einen Sitz im Leben haben, lösen zu können. Was er dabei genau auf einer bestimmten Niveaustufe beherrschen muss, bestimmt der GER (Gemeinsame Europäische Referenzrahmen). Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass wir dies nicht gleich nach erfolgtem Input bewerkstelligen können. Vor dem freien Sprechen stehen Übungen, Wiederholungen, Anwendungen, Automatisierungen („Üben ohne Nachdenken“). Diese zu planen erfordert didaktisches Wissen, Erfahrungen und das Gespür für die Interessen und den Bedarf der einzelnen Schüler in der jeweiligen Lerngruppe.

Didaktisch geht man davon aus, dass man von geschlossenen Übungen über offenere Übungsformen zur offenen Aufgabe kommen sollte. Dabei spielen Automatisierungen (siehe dazu auch den Stroop-Effekt) eine wichtige Rolle. Das heißt, auch „Einschleifübungen“ haben ihre Berechtigung. Natürlich muss man das richtige Maß und eine sinnvolle Einbettung in den Unterricht finden. Das gilt auch für digitale geschlossene Übungen. Wie erfolgreich der Weg von geschossenen Übungen zu offenen Aufgaben am Ende ist, hängt auch von den individuellen Voraussetzungen der Lerner ab. Jede Lerngruppe hat unterschiedliche Lerntypen, Schüler mit unterschiedlichem Vorwissen und Interessen. Deshalb ist es notwendig, binnendifferenziert zu denken und vielfältige Übungsmöglichkeiten auch informell (außerhalb des Unterrichts) zur Verfügung zu stellen. Auch hier können H5P-Anwendungen eingesetzt werden.

Digitale Werzeuge müssen gezielt in diesen Prozess eingebunden werden.

Halten wir also fest: Den Unterricht zu öffnen, projektorientiert mit Schülerinnen und Schülern zu arbeiten, kann im Fremdsprachenunterricht erst erfolgen, wenn solche Aufgaben sprachlich vorbereitet sind. Bei dieser Vorbereitung haben auch digitale Übungsformen ihre Berechtigung.

10 Dinge, die man zu H5P wissen sollte:

  1. Das Ziel des Open-Source-Werkzeugs H5P ist, die Inhaltserstellung von interaktiven Lerneinheiten einfach zu gestalten.
  2. Erstellte Inhalte können einfach exportiert und wieder importiert werden.
  3. Die Idee für H5P stammt von einer staatlich geförderten Organisation (NDLA) aus Norwegen. Seit 2013 ist die Firma Joubel federführend.
  4. H5P ist aktuell als Autorensystem organisiert, das heißt eigene Inhaltstypen können im Sinne von Open-Source von jedem, der es kann, programmiert und ergänzt werden.
  5. H5P integriert Creative-Commons-Lizenzen und ermöglicht somit OER.
  6. Wichtiges Ziel des Projektes ist die Barrierefreiheit. Es soll von allen Nutzern unabhängig von ihren Einschränkungen oder technischen Möglichkeiten uneingeschränkt genutzt werden können. Der verwendete Webstandard HTML5 soll ermöglichen, dass die Anwendungen auf allen Endgeräten verwendbar sind.
  7. Durch H5P-Plugins können H5P-Inhalte direkt in WordPress, Drupal oder Moodle integriert und bearbeitet werden.
  8. Alle H5P-Inhalte können nach Erstellung zum Download bzw. zur Einbettung freigegeben werden.
  9. Zum Download freigegeben Inhalte können weiterverarbeitet, ergänzt, angepasst, verbessert werden und erneut zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung gestellt werden. Das entspricht der Idee von freien Bildungsinhalten (OER).
  10. Aktuell (5.3.2019) gibt es 41 Anwendungen auf H5P. Dieses Angebot wird ständig ausgebaut.

Steckbrief H5P

https://h5p.org/node/457033

Wozu H5P? Wir haben doch schon LearningApps?

Ja, beide sind sich insbesondere bei den Quiz-Komponenten ähnlich, werden deshalb auch als Beispiele für Toolifizierung und Quizzifizierung kritisiert.

Das Angebot von H5P geht aber darüber hinaus und entwickelt sich rasant weiter (aktuell 41, Vergleich LearningApps: 17 Quiz-Formate + 5 weitere Werkzeuge). Auch das Design erfüllt, meiner Meinung nach, höhere Ansprüche. Nachteile gibt es auch. So kann H5P nicht als SCORM zum Beispiel in Moodle eingebunden werden (Für die Plugin-Instellation muss man bestimmte Rechte besitzen.). Der größte Nachteil ist jedoch, dass auf H5P keine gezielte Suche nach weiteren interessanten Inhalten, die erneut angepasst werden können, möglich ist. Alternativ könnte man Inhalte in offenen Wikis sammeln, wie zum Beispiel im von mir betreuten Willkommen-Wiki der ZUM für DaF/DaZ Inhalte.

Kritik an H5P

In letzter Zeit wird H5P im Zusammenhang mit anderen Tools wie #LearningApps, #Kahoot, #LearningSnacks dafür kritisiert, dass sie #Frontalunterricht, #Behaviorismus und #kybernetischePädagogik unterstützen und dadurch die Entwicklung hin zu „zeitgemäßer Bildung“ behindern würden. Beispiele für die Kritik an der „Toolifizierung“ und „Quizzifizierung“ hier und hier.

Diese Kritik ist ernst zu nehmen und hilft dabei, die eigene didaktische Arbeit kritisch zu hinterfragen.

Ausblick

Eine progressive Rolle könnte H5P meiner Meinung nach für das 3. Lernfeld: „Lernen durch Produktion von bedeutungsvollem Output“ spielen. Besonders für „Sinn-volles“ Sprachhandeln eignen sich H5P Anwendungen zum Beispiel für digitale Produkte projektorientierten Lernens.

Noch ein Wort zu den in höheren Sprachprüfungen (DSD II) so beliebten Präsentationen. Im Fremdsprachenunterricht sprechen wir zwar von bedeutungsvollem Output, aber die Frage nach einem „bedeutungsvollen“ Medium wird nur selten gestellt. Wollen Schülerinnen und Schüler auch in einer digitalisierten Welt weiterhin Plakate oder das klassische PowerPoint einsetzen?  Bei Unterrichtsbesuchen an unterschiedlichen Schulen im Ausland sind mir noch die vielen bunten Deutsch-Plakate mit aus dem Internet kopierten Texten in Erinnerung, die, weit außerhalb der Sprachkompetenz (A1-A2) der Lerner, ausgedruckt und von diesen vorgelesen wurden. Dass dies kein gelungenes Beispiel für projektorientiertes, offenes Arbeiten ist, dürfte einleuchtend sein. Aber würde sich dies, bei gleicher Einstellung des Lehrers und Lerners, durch den Einsatz von digitalen Medien ändern?

Hier noch einmal die Informationen zur Anmeldung:

Am 19. März (19 Uhr) werde ich, im Rahmen des „DaF-Lehrer Netzwerkes“ organisiert von Nadja Blust, eine kostenlose Online-Fortbildung zum Thema „Mediengestützte DaF/DaZ-Übungen am Beispiel von H5P“ anbieten. Diese wird über Adobe Connect erfolgen. Wie mir Nadja mitgeteilt hat, ist, bei Interesse, eine Anmeldung obligatorisch und kann hier erfolgen: Zur Anmeldung

Links:

Autor: Ralf

Mein Name ist Ralf Klötzke. Zurzeit arbeite ich als Lehrer an einer ISS in Berlin und bin abgeordnete Lehrkraft am Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM). Nebenbei bin ich auch als selbstständiger Fortbildner tätig.

3 Kommentare zu „Warum eine Fortbildung zu H5P im DaF/DaZ-Unterricht?“

  1. Hallo Oliver,

    danke für den Tipp. Schaue ich mir auf alle Fälle an. Kurze Nachfrage: Wie meinst du das mit „SCORM endlich fallen zu lassen.“ Betrifft das für dich eher die technische oder die didaktische Seite?

    Herzliche Grüße zurück
    Ralf

    1. Hallo, Ralf!

      Vordergründig die technische, aber das schlägt sich letztlich auch auf didaktische Möglichkeiten nieder. SCORM ist in IT-Maßstäben ein Dinosaurier mit diversen Pferdefüßen – auch wenn es immer noch sehr verbreitet ist.

      Viele Grüße
      Oliver

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